Warum Faust?
By Joseph T. McGarry, MD
ich heiße Joseph McGarry und bin Familienarzt in Penrose im US-Bundesstaat Colorado. Ich möchte Sie zu einem Besuch der Website einladen, die mein Partner Dennis Cordova und ich erstellt haben: faustbycordobe.com. Er enthält kostenlos das Drehbuch unseres achtstündigen Dokumentarfilms in deutscher und englischer Sprache: „Goethes Faust, eine Tragödie in zwei Teilen, ein Colorado-Dokumentarfilm.“ Die Website enthält auch den Filmtrailer, Outtakes aus dem Film und das Eröffnungslied des Films, „Measure of a Man“, ein Song der Band „Sons and Brothers“ aus Colorado, . Außerdem finden Sie auf der Website begleitende Texte zum Hintergrund der Entstehung und Entwicklung dieses ungewöhnlichen Projekts.
Die Outtakes enthalten ein Gespräch mit einem deutschen Austauschstudenten, der bei den Aufnahmen am Upper Beaver Creek in der Beaver Creek Wilderness Area dabei war. Ich fragte ihn, ob er in der Schule den Faust durchgenommen hatte, und er sagte: „Zum Glück nicht!“ Er hatte die Hälfte eines Schwarzweißfilms zum Thema gesehen, bevor er eingeschlafen war.
Ich glaube, diese Gleichgültigkeit ist nicht ungewöhnlich. „Faust“ ist ein Schauspiel, das von 200 Jahren geschrieben wurde. Es ist lang. Die Sprache ist manchmal schwer verständlich. Die Figuren aus der griechisch-römischen Mythologie sagen den meisten von uns heute nicht mehr viel.
Ich begann mein „Faust“-Studium im Deutschunterricht an der High School. Unser Lehrer, Pater Eugene Schwartz, vervielfältige den zweisprachigen Text des Schauspiels und wir lauschten einer Tonbandaufnahme des Stückes. Er betonte, dass Goethe für die deutsche Sprache so wichtig war wie Shakespeare für die englische. Er sagte uns, dass Goethe sein ganzes Leben als Erwachsener am „Faust“ arbeitete. Später lernten wir, welch ein Genie Goethe war. Ich wollte unbedingt erfahren, was solche ein Mensch in so einem monumentalen Klassiker der deutschen und der Weltliteratur zu sagen hatte.
Während ich Sie dazu ermuntern möchte, die Drehbuch-Transkription auf der Website zu lesen, möchte ich auch auf eine Kritikpunkte daran eingehen und herausstreichen, was mir so gut an diesem Stück gefällt.
Der häufigste Kritikpunkt lautet, Goethe und der „Faust“ seien irrelevant und schwer verständlich. Ich habe versucht, das Stück in meiner Nacherzählung der Handlung leichter verständlich zu machen. Meiner Meinung nach ist sein Inhalt nach wie vor äußerst relevant.
Ich schreibe diese Worte, während die Covid-19-Pandemie wütet. Zuvor waren wir von anderen Krankheiten bedroht: HIV, Hepatitis C, Herpes, Polio, der Grippe von 1918 und zur Zeit des „Faust“ der Pest. In der Szene „Der Osterspazierung“ wird Faust von allen wegen seiner Hilfe und der seines Vaters in Zeiten der Seuche gelobt. Er ist ein brillanter Akademiker, aber von seinen Errungenschaften desillusioniert und entmutigt. Er wünscht sich, nichts weniger zu wissen als das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Pest dient als objektiver Nachweis seines Mangels an Wissen und seiner Machtlosigkeit. Er und sein Vater sammeln Kräuter und Pflanzen auf den Feldern in der Hoffnung, dass sie im Kampf gegen die Plage nützlich sind, wissen aber nichts Genaues zu ihrer Wirksamkeit. Die Menschen starben trotz oder vielleicht auch wegen ihrer Bemühungen weiterhin.
Wir haben in puncto öffentliche Gesundheit seitdem viel dazugelernt und wissen um den Nutzen von Hygiene, Isolation, Quarantäne, sozialer Distanz und persönlicher Schutzausrüstung. Trotzdem probieren wir weiterhin alles Mögliche aus, Chloroquin, Azithromycin, Antikörper und Impfstoffe, bevor wir die wirksamste Behandlungsmethode finden.
Die Szene „Der Osterspaziergang“ beginnt damit, dass Faust zusieht, wie die Stadtbewohner aus ihren kalten, dunklen Häusern in die Wärme und das Sonnenlicht eines herrlichen Ostermorgens kommen, nachdem sie den ganzen Winter lang eingesperrt waren. Sie sind froh und bunt gekleidet, spazieren über die Wiesen und sehen wie menschliche Frühlingsblumen auf den Hügeln aus. Auch 2020 freuen wir uns auf eine ähnliche Befreiung aus der Isolation.
Die Covid-19-Todesziffern sind erschütternd. Goethe lebte ein langes Leben, von 1749 bis 1832. Was er in einem Brief zu den erlittenen Verlusten sagte, ist auch heute relevant: „Mein engster Freundeskreis wie ein Haufen Blätter scheine, die eines nach dem anderen von den Flammen des Lebens verzehrt werden, wodurch Augenblick für Augenblick die Verbleibenden immer wertvoller werden.“ Krankheit, Tod, Leid und Hoffnung sind also der Ausgangspunkt bei der Verteidigung der Relevanz des „Faust“.
Wir wollen von Covid-19 zu anderen, wichtigen Themen der menschlichen Natur übergehen. In der „Zueignung“ sagt Goethe, dass das, was er verloren hat, ihm näher erscheint als das, was er besitzt. Er schreibt dies auf dem Zenit seines persönlichen Erfolgs und Glückes. Es ist das alte Problem: Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Im „Vorspiel auf dem Theater“ sprechen der Direktor, der Dichter und die lustige Person über die Eröffnungsnacht des Schauspiels aus ihren jeweiligen Perspektiven. Goethe schrieb, dass tief und ernstlich denkende Menschen gegen das Publikum einen bösen Stand haben. Der Direktor spiegelt Goethes Geringschätzung und sagt, dass das Erfolgsgeheimnis immer mehr Action ist. Das Publikum passt sowieso nicht richtig auf.
Die lustige Person umreißt einen Handlungsfaden, der damals wie heute gültig ist: „Zeig uns, wie man ein Liebesabenteuer treibt. Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt Und nach und nach wird man verflochten; Es wächst das Glück. Dann wird es angefochten. Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran, Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.“
Die lustige Person schließt die Diskussion mit einer angenehmen Beobachtung ab: „Die Nächte schmausend man vertrinket. Doch ins bekannte Saitenspiel mit Mut und Anmut einzugreifen, nach einem selbstgesteckten Ziel mit holdem Irren hinzuschweifen, das, alte Herrn, ist eure Pflicht. „Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht, Es findet uns nur noch als wahre Kinder.“
Einer meiner High-School-Lehrer, ein Priester, lehrte uns, alles in Frage zu stellen. „Was ihr am Ende als Wahrheit akzeptiert, liegt wirklich ganz bei euch.“ An diesem Punkt in meinem Leben habe ich eine „gewisse Meisterschaft mit meinem Instrument“ erreicht. Dieser Glaube wurde durch eine Kindheit und Jugend, meine Familie, 43 Jahre als Landarzt, meine Freundschaften und drei lebensverändernde medizinische Probleme geformt. Wie Luther sagte: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“
Auf dieser Reise war ich stets an Goethes Gedanken interessiert. Drei Stellen im „Faust“ sind meiner Meinung nach besonders relevant: erstens der Prolog im Himmel, zweitens der Austausch zwischen Gott und Mephistopheles im Prolog im Himmel und drittens die Gretchenfragen.
Die Erzengel betrachten den Kreis der Naturkräfte und fragen, wie sie begonnen haben. Laut Kant wird die menschliche Vernunft durch Fragen belastet, die nicht beantwortet, aber auch nicht ignoriert werden können. Die Erzengel kommen zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: „Der Anblick gibt den Engeln Stärke, da keiner dich ergründen mag.“
In den Gretchenfragen wird Faust direkt nach seinem Glauben an Gott gefragt. Er antwortet: „Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn? Wer empfinden, und sich unterwinden zu sagen: Ich glaub ihn nicht? Wölbt sich der Himmel nicht dadroben? Liegt die Erde nicht hierunten fest? Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir, und drängt nicht alles nach Haupt und Herzen dir, und webt in ewigem Geheimnis. Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, nenn es dann, wie du willst, nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen.“ Dieses Gefühl ist alles!
Im zweiten Teil des Prologs im Himmel liefern sich Gott und Mephistopheles eine verbale Auseinandersetzung. Mephisto lamentiert, die Menschheit sei korrupt und er möchte sie nicht mehr in Versuchung führen. Das ist redundant und überflüssig. Gott teilt zwei Beobachtungen und einen abschließenden Rat. Zunächst hat der Mensch einen moralischen Kompass. Selbst in den düstersten Momenten weiß die Menschheit, was richtig ist. Zweitens wird die Menschheit trotz dieses Wissens Fehler machen. Die Rettung liegt im Streben. Schließlich drängt er die Menschheit zu dreierlei Dingen: Erstens: „Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!“ Zweitens, wachst weiterhin. Drittens: „Und was in schwankender Erscheinung schwebt, befestiget mit dauernden Gedanken.“ Für mich bedeutet das die Kraft der Liebe, des Gebets, eines Gottes, Jesu und der Lebenskräfte, die wir kaum wahrnehmen.
Faust ist zwar der Titelheld des Schauspiels, Mephisto stiehlt ihm aber die Schau. Er kombiniert Zynismus mit Sarkasmus, Wortwitz, weltlicher Weisheit, Intelligenz und unablässiger Negativität. Ich stelle mir vor, wie der verstorbene Robin Williams diese Rolle spielen würde. Ich stelle mir die einzigartige Energie von Williams in Mephisto geleitet vor. Zum Beispiel als der junge und erneuerte Faust das junge Gretchen sofort haben will. Mephisto kontert: „Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos; doch bitt’ ich, lasst’s euch nicht verdrießen: Was hilft’s nur g’rade zu genießen?“ Als Faust den Willen verliert, Gretchen zu verführen, sagt Mephisto: „Ich habe genug Geschenke für zwei Mädchen gebracht. Und Ihr seht drein als solltet Ihr in den Hörsaal hinein, als stünden grau leibhaftig vor Euch da Physik und Metaphysika!“ Als Gretchens Mutter die Geschenke an den Priester übergibt, hat selbst Mephistopheles Probleme, sie so richtig zu verfluchen: „Bei aller verschmähten Liebe! Beim höllischen Elemente! Ich wollt, ich wüsste was Ärgers, dass ich’s fluchen könnte! Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben, wenn ich nur selbst kein Teufel wär!“ Mephisto setzt seine Wutrede mit seinen Ausführungen zur säkularen Kirche fort: „Sie brachte es zum Priester. Er sagte, sie hätten richtig gehandelt. Die Kirche hat einen guten Magen, hat ganze Länder aufgefressen und doch noch nie sich übergessen.“ Der Priester sagte zu den Frauen: „Die Kirch allein, meine lieben Frauen, kann ungerechtes Gut verdauen.“
Immer wenn Faust seine Situation mit Gretchen in Erwägung zieht, ist Mephistos Witz schärfer. Er sagt zum unentschlossenen Faust: „Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein, wie eine Kröte, Nahrung ein? „Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer, nicht etwa in den Tod. Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht, stellt er sich gleich das Ende vor. Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt. Nichts Abgeschmackters find ich auf der Welt als einen Teufel, der verzweifelt.“
Auf dem Weg zu Gretchen zu hedonistischen Freuden komponiert Mephisto ein Lied, das Faust ihr vorsingen soll:
Vor Liebchens Tür,
Cathrinchen hier
Er lässt dich ein
als Mädchen ein,
als Mädchen nicht zurücke.
Nehmt euch in Acht! Ist es vollbracht, dann gute Nacht
Ihr armen, armen Dinger!
Habt ihr euch lieb, tut keinem Dieb
Nur nichts zulieb, als mit dem Ring am Finger.“
Bei einer Rede zum Yale-Abschlussjahrgang sagte Kingman Brewster, dass die Welt zwischen lieblosen Kritikern und unkritischen Liebhabern geteilt sei. Das humanistische Ziel war, ein kritischer Liebhaber zu sein. Mephisto entspricht der Vorlage des lieblosen Kritikers ganz genau. Er macht seiner Verachtung gegenüber der akademischen Welt, der Kirche und korrupter Herrschaft Luft.
Nach der Wette gibt sich Mephisto als Professor aus und beantwortet die Fragen der Schüler, wie sie Gelehrte werden können. Er sagt: „Zuerst natürlich die Logik. Da wird der Geist euch wohl dressiert, In spanische Stiefeln eingeschnürt.“ Mit Logik und Philosophie wirst du Tage benötigen, um Dinge zu tun, die zuvor mit eins, zwei, drei erledigt waren. Metaphysik wird euch helfen, Dinge zu sehen, die der Wahrnehmung des Gehirns verborgen sind. Dann zur Jurisprudenz. „Es erben sich Gesetz’ und Rechte wie eine ew’ge Krankheit fort.“ Drittens zur Theologie. Am besten ist’s hier, sich ganz nach einem Meister zu richten und ihm aufs Wort zu folgen, sich überhaupt an Worte zu halten. Das ist die einzige Möglichkeit, in den Tempel der Gewissheit einzutreten. „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“ Schließlich zur Medizin. „Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen; Ihr durchstudiert die groß, und kleine Welt, um es am Ende gehn zu lassen, wie’s Gott gefällt.“
Im 2. Teil beschimpft er die organisierte Religion in Person des Erzbischofs/Canzlers. Der Canzler: „Natur und Geist – so spricht man nicht zu Christen. Deshalb verbrennt man Atheisten. Weil solche Reden höchst gefährlich sind. Natur ist Sünde, Geist ist Teufel. Sie hegen zwischen sich den Zweifel.“ Darauf antwortet Mephisto: „Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn! Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern. Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar;was ihr nicht rechnet, glaubt ihr sei nicht wahr.“
Mephistos Persona verändert sich im 2. Teil und er wird von der bedrohlichen Figur im 1. Teil eher zur komischen Karikatur. Er jagt atem- und erfolglos einer Gruppe von Hexen nach, die für ihr zügelloses Verhalten berühmt sind. Er wendet sich an das Publikum: „Verflucht Geschick! Betrogne Mannsen! Von Adam her verführte Hansen! Alt wird man wohl, wer aber klug? Warst du nicht schon vernarrt genug! Man weiß, das Volk taugt aus dem Grunde nichts. Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts. Nichts haben sie Gesundes zu erwidern. Und dennoch tanzt man, wenn die Luder pfeifen!“ Dann verschwindet er wieder.
Der possenhafte Mephisto schließt mit seiner eigenen Abtrittszene. Die Engel haben ihn abgelenkt und die Leiche Faustens abgeholt. Diese Ablenkung wäre mit Robin Williams zur Tour de Force geworden (ich erinnere mich gern an die Beschreibung seiner Darmspiegelung und wie er vom eigenen Außenbordmotor angetrieben auf der Bühne umhertuckerte), war im Film aber relativ zahm. Mephisto schließt: „Du hast’s verdient, es geht dir grimmig schlecht. Ich habe schimpflich missgehandelt, ein großer Aufwand, schmählich! Ist vertan. Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt den ausgepichten Teufel an. Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding der Klugerfahrne sich beschäftigt, so ist fürwahr die Torheit nicht gering, die seiner sich am Schluss bemächtigt.“ Ich sage dazu „Amen!“.
Als Staat hat sich das Heilige Römische Reich als unheilig, unrömisch und nicht gerade als Reich erwiesen. Am Anfang des 2. Teils haben Faust und Mephisto mittels Magie und Tricks den Kaiser vor dem Ruin bewahrt. Im 4. Akt retten sie ihn wiederum mittels Magie. Er gewinnt den Krieg, aber sonst nichts. Faust hat versucht, seine Erfahrungen mit Gretchen globaler zu machen. Als er die Kriegstrommeln hört, sagt er: „Schon wieder Krieg! Der Kluge hört’s nicht gern.“ Mephisto entgegnet: „Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen, zu seinem Vorteil etwas auszuziehen. Man passt, man merkt auf jedes günstige Nu. Gelegenheit ist da, nun Fauste greife zu.“
Nach dem Abfackeln der alten Nachbarn von Faust, deren bescheidenes Heim und Kapelle Faust stören, im 5. Akt, kommentiert Mephisto den Konflikt zwischen den Schwach und den Starken: Die Starken machen, was sie wollen, die Schwachen, was ihnen befolgen wird. Er sagt: „Gehorche willig der Gewalt! Und bist du kühn und hältst du Stich, so wage Haus und Hof und – dich.“
Schließlich ist Mephistos Trauerrede für Faust ein Musterbeispiel des Nihilismus. Er sagt: „Es ist vorbei. Vorbei! ein dummes Wort. Vorbei und reines Nichts, vollkommnes Einerlei! Was soll uns denn das ew’ge Schaffen! Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen! Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.“
Ich wählte für die Eröffnungsszene des Films den Song „Measure of a Man“ der „Sons and Brothers“ aufgrund der Tatsache, dass dem Lied das fundamentale faustsche Streben zugrunde liegt. (Und es sich um eine tolle Musikgruppe handelt.) Seine Reise begann mit dem Wunsch nach dem allumfassenden Wissen. Er gab dies auf, um eine vollständige menschliche Erfahrung zu machen. Er erkennt die spirituell-körperliche Dualität an, die diesem Versuch eigen ist. Sind wir geistige Wesen, die eine menschliche Erfahrung oder Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen? Vor der ersten Begegnung mit Mephisto sagt er zu Wagner: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die eine will sich von der andern trennen; Die eine hält, in derber Liebeslust, sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andre hebt gewaltsam sich vom Staub zu den Gefilden hoher Ahnen. Die eine will sich von der andern trennen.“
In seinem Studienzimmer beginnt Faust, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen. Er schlussfolgert, dass die erste Urhandlung nicht „das Wort“ war, sondern „die Tat“. Im Anfang war die Tat, die Aktion. Aus weit gefasster Sicht handelt der Rest des Schauspiels davon, wie Faust diese Epiphanie in die Tat umsetzt. Ein regelmäßiges Muster wird erkennbar: Faust ist niedergeschlagen, er handelt, er hat Erfolg, er ist wieder niedergeschlagen. Schließlich verliert er seinen Idealismus völlig. Er kämpft gegen die Natur. Er strebt nach Geld, Macht und Kontrolle.
Am Ende, im Alter von 100 Jahren, ist Faust tief deprimiert. Goethe entwirft ein unerreichtes Bild der Depression. Die Schattenfrau, Sorge, beschreibt Fausts depressiven Zustand: „Ewiges Düstre steigt herunter. Sonne geht nicht auf noch unter. Bei vollkommnen äußern Sinnen, wohnen Finsternisse drinnen. Und er weiß von allen Schätzen sich nicht in Besitz zu setzen. Glück und Unglück wird zur Grille, Er verhungert in der Fülle. Soll er gehen? soll er kommen? Der Entschluss ist ihm genommen. Auf gebahnten Weges Mitte wankt er tastend halbe Schritte. Er verliert sich immer tiefer, Siehet alle Dinge schiefer, Sich und andre lästig drückend. Atem holend und erstickend; nicht erstickt und ohne Leben. nicht verzweifelnd, nicht ergeben. So ein unaufhaltsam Rollen schmerzlich Lassen, widrig Sollen, Bald Befreien, bald Erdrücken, halber Schlaf und schlecht Erquicken; heftet ihn an seine Stelle und bereitet ihn zur Hölle.“ Dagegen helfen alle Antidepressiva der Welt nicht.
Fausts Epiphanie und Rettung: sein kontinuierliches Streben. In geistiger Hinsicht wird er endlich wieder Teil der Menschheit, als er sich vorstellt, dass sein Gewinnen von Land aus dem Meer für Millionen von Menschen einen Ort zum nachhaltigen Leben und Arbeiten bieten kann. In diesem Fall wäre er in der Lage, der Welt die schicksalsträchtigen Worte seiner Wette zu sagen: „Verweile doch, du bist so schön.“
Die letzten Worte des Schauspiels sind die des Chorus Mysticus. 2020 ist diese Hommage an die Weiblichkeit natürlich nicht mehr so revolutionär wie bei ihrem Entstehen, aber immer noch zeitgemäß.
„Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis.
Das Unzulängliche
Hier wird’s Ereignis.
Das Unbeschreibliche,
hier ist’s getan.
Das Ewig-Weibliche
zieht uns hinan.“
Ich stellte zunächst die Frage: „Warum Faust?“ Es handelt sich um eine Geschichte der Konflikte zwischen Wissen und Weisheit, Lust und Liebe, Egoismus und Selbstlosigkeit, sozialer Isolation und Integration sowie Optimismus und Pessimismus. Diese Themen sind auch heute sehr relevant. Goethe ließ die Handlung circa 200 Jahre vor seiner eigenen Zeit spielen. Dadurch ist die Chance höher, am Leben zu bleiben, sollte dem Kaiser die Geschichte nicht gefallen. Selbst zu seiner Zeit war das Schauspiel also nicht zeigenössisch und spiegelte keine aktuellen Ereignisse wider. Es sollte vielmehr zeitlos sein.
Nach seinem ruhelosen Streben gibt es ein Happyend für Faust. Ich hoffe, dass wir gemeinsam Covid-19 überstehen und als Katalysator für positive Veränderungen nutzen können. Pax vobiscum.
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